Du bist Deutschland – Bildgeschichte
Irgendwo, in irgendeinem Archiv, wird man, früher oder später, immer ein Bild – oder zumindest einen Hinweis – finden, mit dem man einen Zusammenhang zwischen einem Claim einer aktuellen Werbekampagne und der Nazizeit konstruieren kann schrieb Jörg-Olaf Schäfers dieser Tage im Medienrauschen Weblog.
Die Kampagne „Du bist Deutschland“ war in die Schlagzeilen geraten, als eine Aufnahme mit fast dem selben Slogan aus dem Jahr 1935 (ca.) auftauchte. Die Aufnahme auf Flickr (vom 22. November) hat den Nachweis:
Quelle: Stadtarchiv Ludwigshafen (Hrsg): Ludwigshafen. Ein Jahrhundert in Bildern, Weinheim 1999, S. 105.
Update: ISBN: 3924667292
Die Geschichte eines Bildes im Web
Spreeblick hatte die Kampagne bereits am 26.09. ironisch kommentiert. Im eingerichteten Flickr-Pool tauchte dann das besagte Bild auf, nachdem sich die Comunity bereits fleissig mit „Du bist…“-Bildkollagen geäußert hatte. Gleichzeitig meldete sich noch einmal der Spreeblick:
Eine unschöne und auch peinliche Parallele. Die halte ich persönlich zwar nicht gerade für lapidar, finde aber auch, dass man auf dem Teppich bleiben sollte und dass allein die Veröffentlichung in diversen Foren und Blogs schon dazu reichen sollte, um mal wieder über die verschwindenden Grenzen zwischen Propaganda und Marketing nachzudenken. Was ich von der Kampagne im Allgemeinen halte habe ich ja schon ausführlich zum Besten gegeben, sie wegen dieses Fotos jedoch in eine Nazi-Ecke zu stellen, wäre dumm und gefährlich.
Völlig unabhängig von dem Foto darf man aber auch feststellen: das Bild erschien bereits am 17.11. in diversen Foren, kurz danach auf Antifa-Seiten und bei indymedia. So richtig mitbekommen haben das dort aber scheinbar nur wenige. Dann ging das Foto gestern und heute per Mail an mich und einige andere Blogs,….
Weitere Weblogs folgten auf dem Fuße, am selben Tag noch bei Mario Sixtus, dann auch bei Glück auf mit weiteren Informationen zur Quelle.
Tagsdrauf auch bei yamb – mein notizblog: Hätten die Macher der Kampagne, immerhin die Creme de la Creme der deutschen Werbe- und Medienbranche, diesen peinlichen faux pas durch eine intensivere Recherche vermeiden können? Vielleicht, realistisch gesehen jedoch nicht. Es ist ein und bleibt (ein) Zufallsfund.
Der Spiegel hatte die Sache bald ausfindig gemacht. Dem Ludwigshafener Stadtarchivar war die heikle Parallele schon früher aufgefallen.
Auch weitere namhafte Historiker wurden von den Medien befragt ( Netzzeitung):
Die Ähnlichkeit zu einer Ludwigshafener Nazi-Parole aus dem Jahr 1935 sei offenbar eine «zufällige Analogie», sagte der renommierte deutsche Historiker Hans Mommsen der Nachrichtenagentur dpa.
Der Nationalsozialismus-Experte Hans-Ulrich Wehler sagte, nur weil vor Jahrzehnten eine ähnliche Formulierung gebraucht worden sei, spreche nichts gegen die Verwendung des neuen Slogans. Ansonsten müssten hunderte von Worten gestrichen werden.
Weitere Reaktionen
Natürlich hat auch die Du-bist-Deutschland-Seite ihren Pressespiegel, freilich werden darin die gebloggten Beiträge übergangen.
Einen guten Beitrag liefert hierzu einmal mehr die Wikipedia. Dort findet sich ein guter Überblick über kritische Medienreaktionen.
Gut gefallen hat mir auch die Glosse in der Zeit:
Was läge weiter von einander entfernt als die bunte Welt der Werber und die staubige Welt der Archive? Hier das Übermorgen, dort das Vorgestern, hier die Kreativdirektoren, dort die Karteikartenreiter, hier Photoshop-Triumphe, dort bröselnde Graumassen. Und doch – wie seltsam berühren sie sich manchmal, diese Welten!
Bildrechte
Das Zeit-Blog und Medienrauschen hatten die Frage der Bildrechte angeschnitten und von Archivalia umfassend Antwort erhalten.
Und die Moral von der Geschicht?
Historiker und Archivare sind nicht so unnütz wie gemeinhin angenommen, man sollte sie nur fragen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Zudem erteilen sie ihren Rat in der Regel kostenlos. Da war die Medienindustrie schon großzügiger. Auf 30 Millionen Euro ist hier für den guten Zweck verzichtet worden.
Auch 60 Jahre nach dem Ende des NS-Staates, ist das Terrain immer noch vermint, das hätten auch Werbeleute wissen müssen. Insofern war der Slogan auch ohne das Foto eine gewagtes Unterfangen.
Politik und Werbung sind eine schlechte Allianz wenn es darum geht, dieses Land wieder nach vorn zu bringen, weil sie uns weiß machen wollen, wir litten allein unter einem Imageverlust. Manchmal kann es auch ein Bild zuviel sein.